Gabriele Kaiser-Schanz
Körper-Hülle- Zelle, 2013, Kunsthaus in Schmallenberg
Zellstrukturen, Kokons, Körperhüllen, Korsettgeflechte, ein Anzug voller Narben – die Objekte und Performances der Künstlerin Gabriele Kaiser Schanz thematisieren das menschliche Leben und seine Zwänge, Konventionen, Modeerscheinungen. Sie widersetzt sich der Inszenierung fiktiver Oberflächenwelten, verurteilt normative Gendercodes und hinterfragt verbreitete Wahrnehmungs- und Bedeutungskonventionen. Die in ihren künstlerischen Werken dargestellten Themen, wie die Einengung von Körper und Seele, die Beziehung von außen und innen, das Ringen um Schönheit und Ideal berühren. Kritisch reflektiert ihre Kunst kulturell konstituierte Körperlichkeiten und die Suche nach Identität. Seit der Antike wurde der Körper typisiert und in einen Kanon gepresst. Ihm wurden bestimmte Ideale und Reglementierungen übergestülpt, die in ästhetischen Mustern mündeten.
Darstellende und bildende Kunst sowie die Musik verbinden sich ihrer Performance Körperhüllen im Wandlungsprozess zu einem eindringlichen Bild, das einen Frauenkörper bekleidet und unbekleidet darstellt. Es findet während der Performance eine Wandlung statt, auch eine Befreiung. Reifrock, Halskrause, Korsett sind Zeichen der Einengung und in der Performance zeigt die Künstlerin, wie schwer es ist, sich der äußerlichen Hülle zu entledigen, aber auch wie wir uns selbst verletzten, um schön zu sein. Werbung, Massenmedien und Virtualisierung führen zu einer Verunsicherung in der Selbstwahrnehmung. Schönheitsoperationen und die Optionen sowohl gentechnischer Mutation als auch elektronischer Prothetik verschieben die Körpergrenzen und bewirken eine permanente Gefährdung des Seins. Etwas Aggressives scheint in der Performance auf, wobei im Verletzten die Verletzlichkeit mitschwingt. Wie kann man eine kritische Haltung, wie Widerstand, Protest und Rebellion gegen eine gesellschaftliche Zuschreibung überhaut visualisieren? Gabriele Kaiser Schanz findet dafür ein bewegtes Bild: Das Abstreifen des Rockes, der Bekleidung, der gesellschaftlichen Hülle als bewusste Negation des sozialen Maßstabs und, darüber hinausgehend, die Zerstörung bestehender, etablierter Formen des Modischen oder von Schönheitsidealen der Kultur- und Kostümgeschichte. Zwischen Konformität und Widerstand, Gender und Ökonomie, sozialer Ordnung und Identität, Fetisch und Körpergefängnis besteht eine besondere gesellschaftliche Befindlichkeit.
Die künstlerische Arbeit von Gabriele Kaiser-Schanz ist als ein ineinandergreifendes System zu verstehen, das letztlich das menschliche Sein thematisiert. Die Zellstrukturen mit ihren organischen, sich aneinander anpassenden Formen verweisen auf das Werden, den biologischen Ursprung menschlicher Existenz. Im Kokon vollzieht sich eine Metamorphose. Arbeiten wie das Gedankenkarussell oder das Portraitobjekt deuten an, wie vielgesichtig und vielschichtig das Ich in seiner Authentizität, Spur und Kontur ist. Die menschliche Disposition, unsere Wahrnehmungen, unsere Entscheidungen, unsere Identität setzen sich aus einer Vielzahl von Parametern, von Bildern, von Eindrücken zusammen, die zwischen Multiplizität und Integration, Doppelung und Spiegelung, vielfältiger Determiniertheit und subjektiv-individueller Abgrenzung entstehen. Den Blick auf das Individuelle konfrontiert Gabriele Kaiser-Schanz auf der anderen Seite mit dem Normierten. Der Körper wird in das Korsett eingezwängt wie das Leben in gesellschaftliche Direktiven der Gruppe, der Familie, der Arbeit, der Medien.
In ihrem neuen Projekt Mikrokosmos versus Makrokosmos verweist Gabriele Kaiser-Schanz auf komplexe Phänomene, die menschliches Leben und Zusammenleben charakterisieren. Die Installation besteht aus fünf lebensgroßen abstrahierten Puppen, die sich in einem bestimmten Rhythmus bewegen. Die Figuren entfernen sich und finden in neuen Konstellationen wieder zueinander. Der Mensch als zugleich biologisches und soziales Wesen ist seit archaischer Zeit eingebunden in unterschiedliche Systeme: Sonnensystem, Ökosystem, Gesellschaftssystem, Familiensystem. Auf Störungen reagieren Systeme wie ein Mobile, sie versuchen mit einer Ausgleichsbewegung wieder einen stabilen Zustand zu erreichen. Auf Aktionen an einem Ort des Systems, z.B. der Familie, reagieren wir mit Re-Aktion, die wiederum im System Reaktionen auswirken. Das bedeutet ständige Bewegung, Verortung, ein neu Justieren, Sinn und Platz in Zeit und Raum finden.
Dr. Andrea Brockmann
Kunsthistorikerin
Leiterin der Kulturabteilung Schmallenberg
Fotografische Dokumentation der Ausstellung: Walter Schulte
Fotos; Korsett und Körperhüllen im Wandlungsprozess: Ulrik Eichentopf
Fotos; Performance Kokon: Ingrid Weidig