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RITUAL 01 - BIOMORPHE OBJEKTE IM LEBENSPROZESS, 2018

Gabriele Kaiser-Schanz
RITUAL 01 – Biomorphe Objekte im Lebensprozess, 2018
Künstlerzeche Unser Fritz 2/3, Herne

Im Mittelpunkt der Arbeit von Gabriele Kaiser-Schanz stehen Leben und Tod mit ihren elementaren Aussagen. Die Künstlerin Gabriele Kaiser-Schanz beschäftigt sich in einer sehr intensiven Form mit grundlegenden Lebensprozessen. Dabei handelt es sich einerseits um die Auseinandersetzung mit Zellstrukturen und organischen Formen ebenso wie grundlegenden gesellschaftsprägenden Konventionen und Ritualen. Der Frage, was unser Leben und Sterben im Grunde ausmacht, gilt das Hauptinteresse der Künstlerin.

Der Ursprung des menschlichen Körpers ist auf materieller Ebene: die Zelle. Sie ist der Grundbaustein des Menschen, wobei schon eine einzelne Zelle bereits ein einzelnes Lebewesen ist. Die Zelle und die künstlerische Auseinandersetzung damit kann als künstlerischer Ausgangspunkt des Werkes von Gabriele Kaiser Schanz verstanden werden. Immer wieder stehen die Fragen zu unserer Herkunft einerseits, aber auch zu unserer Determiniertheit, zu unserer Freiheit, im Mittelpunkt der künstlerischen Auseinandersetzung. Die Künstlerin versteht das Individuum gleichermaßen in Abhängigkeit von inneren und äußeren Umständen sowie seinem Wunsch nach Unabhängigkeit, Freiheit und Selbstbestimmtheit. Zwischen diesen beiden Polen, man könnte auch sagen, in dieser dialektischen Situation finden auch wir uns wieder.

RITUAL 01-  Biomorphe Objekte im Lebensprozess, 2018, Weiss Kaue, Künstlerzeche Unser Fritz 2/3, Herne

RITUAL 01-  Biomorphe Objekte im Lebensprozess, 2018, Weiss Kaue, Künstlerzeche Unser Fritz 2/3, Herne

RITUAL 01-  Biomorphe Objekte im Lebensprozess, 2018, Weiss Kaue, Künstlerzeche Unser Fritz 2/3, Herne

Den Ursprung der künstlerischen Vielfalt im Werk von Gabriele Kaiser-Schanz bildet die Arbeit mit dem Titel „Urzelle“. Es gibt im menschlichen Körper mehrere 100 verschiedene Zelltypen. Einzelne Zellen werden zusammengeschlossen und bilden ein Gewebe. Es gibt wiederum mehrere 100 verschiedene Gewebetypen. Der menschliche Organismus besteht aus 10 14 oder 100 Billionen Zellen, diese sind zwischen 1 und 30 Mikrometer groß.

Unterschiedlichste Zellstrukturen werden in den filigranen Zeichnungen ersichtlich.
Entsprechend der Evolutionstheorie begann alles Leben im Wasser – die „Urzelle“ aus dem Jahr 2017 befindet sich dementsprechend im „Wasser“, welches hier aus gehäkeltem Draht in Kunstharz gebildet ist. Da sich die Entwicklung der Lebewesen vom Wasser zum Land vollzogen hat, erscheint die Arbeit „Zelle zu Wasser und zu Land“ halb im Wasser. Hier sind die Materialien kaschiertes bemaltes Papier in Kunstharz.

Ein Relikt aus dem Anbeginn des Lebens auf der Erde stellen auch die Werke „Zell-Objekt Seeigel 01-07, 2015-2018 dar. Seid 480 Millionen Jahren befinden sich diese wirbellosen Tiere mit Kalkskelett auf der Erde.

Neben diesen kleinsten und ältesten Lebensformen setzt sich die Künstlerin auch mit den Prozessen am Ende der materiellen Existenz, am Ende des Lebens auseinander. Der Mensch wird hier gleichermaßen als Individuum und auch in seiner Beziehung zu anderen Menschen wichtig. Die Künstlerin setzt sich mit den Bedingtheiten gesellschaftlicher Strukturen sowie mit der historischen Entwicklung dieser gleichermaßen komplexen wie fragilen Konstruktion des menschlichen Miteinanders in ihren vielschichtigen Arbeitsprozessen intensiv auseinander. Das „RITUAL 01“ bildet den Anfangspunkt dieser Auseinandersetzung. Es verbindet auf anschauliche Weise verschiedene Begräbnisrituale und entwickelt eine vollkommen eigenständige, komplexe Arbeit. Das Beerdigungsritual ist eines der ersten Rituale der Menschheitsgeschichte überhaupt, welches durch Relikte nachgewiesen kann. 

Zahlreichen Sterbe- und Jenseitsmythen, verschiedene Begräbnisrituale bieten Möglichkeiten und Versuche den verstorbenen Menschen und die Hinterbliebenen im Prozess des Sterbens und des Übergangs in andere Dimensionen vorzubereiten und zu begleiten. 

„RITUAL 01“ beinhaltet verschiedene Aspekte wie beispielsweise das Waschen des Leichnams. Es ist im alten Ägypten und im Christentum gleichermaßen bekannt wie auch im Hinduismus. In der ägyptischen Tradition wurde dadurch die Mumifizierung eingeleitet. Im Hinduismus gibt es weiterhin keine festgelegten Bestattungsrituale, die für alle Hindus gelten. Die Zeremonie kann sich je nach Kaste oder Religion unterscheiden. Doch auch hier wurde der Tote meist zunächst gereinigt. Dafür wird hier der Leichnam auf einen Stuhl gesetzt und unter fließendem Wasser gewaschen. 

Die Verwendung von Leichentüchern ist auch bereits aus dem alten Ägypten (ca. 4000 v. Chr.) bekannt. Auch das jüdische Bestattungsritual schreibt ein sogenanntes Tachrichim vor. Auch die Hindus wickeln ihre Toten in ein schmuckloses weißes Tuch. Das frühe Christentum empfahl ebenfalls ein Leichentuch und der Islam übernahm dieses Ritual, wobei sicherlich auch immer eine Rolle spielte, dass sich Holzsärge in dem trockenen und heißen Klima schwer zersetzen. Das katholische Christentum ersetzte dann in der Renaissance das Leichentuch durch ein Totenhemd. 

RITUAL 01, 2018, Performance, Schwarz Kaue, Künstlerzeche Unser Fritz 2/3, Herne

RITUAL 01, 2018, Performance, Schwarz Kaue, Künstlerzeche Unser Fritz 2/3, Herne

Tryptychon

Auch Grabbeigaben, wie die große bronzene Schale mit dem Titel „Bronze-Gefäß“, 2017 sind bereits aus der jüngeren Altsteinzeit bekannt, wobei in diesem Zusammenhang zwischen echten und unechten Grabbeigaben zu unterscheiden wäre. Unechte Grabbeigaben sind Kleidungsbestandteile, Schmuck, Waffen oder Gebrauchsgegenstände des Verstorbenen, die er zu seinen Lebzeiten benutzte. Dagegen sind echte Grabbeigaben speziell für die Bestattung gefertigte oder benutzte Gegenstände wie Totenschmuck oder spezielle Grabkeramik.

Unser Umgang mit dem Tod und die sich daraus entwickelnden Rituale sind natürlich geprägt durch die Frage nach dem Danach. Was kommt danach? Nahezu alle Kulturen sind von dieser Frage geprägt und oft ist auch unser ganzes Leben davon geprägt. Ist es der Tod des Körpers? Gibt es eine Seele, die weiterlebt? Trennen sich Körper und Seele? Was dann? 

Bezugnehmend auf diese Beerdigungsriten entwickelte die Künstlerin die Installation „WEISS“ Die Gefäße erinnern an Urnen oder an die ägyptischen Kanopenkrüge, die zur Aufbewahrung der inneren Organe dienten. Vor der Mumifizierung des gesamten Körpers wurden die Organe entnommen und separat aufbewahrt. Die Kreise aus Talkumstaub in der Installation „WEISS“ verbinden sich formal mit der runden Form der Gefäße. „Schwarz“ als Trauerfarbe, welches die Künstlerin zu Beginn der Performance trägt, hat sich im mitteleuropäischen und nordamerikanischen Raum erst seit dem 19. Jahrhundert durchgesetzt, zuvor war es die Farbe „Weiß“. Dies gilt auch heute noch im gesamten asiatischen Bereich sowie in buddhistisch geprägten Ländern.

Aus der christlichen Begräbnistradition ist das folgende Zitat bekannt: „Aus der Erde sind wir genommen, zur Erde sollen wir wieder werden, Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub.“ Es beschreibt den Kreislauf des Lebens. Und so steht das Ende des körperlichen Lebens auch immer für einen Neuanfang. Und in diesem Sinne verstehen wir auch hier einen gewissen Kreislauf: Denn ganz gleich wie wir auch den Tod betrachten – den Tod des Körpers – danach wird etwas Anderes, etwas Neues entstehen. Das Ende bedeutet auch wieder einen Anfang. 

Dr. Andrea Fink, Kunsthistorikerin

Concombre blanc 01, 2017, Seidenpapier, 9 x 13 cm